Südkurier 15.07.06:            Der Teil und das Ganze

 Galerie Kränzl: „Memories"

 

BRIGITTE ELSNER-HELLER

 

Erinnerung tritt kollektiv und individuell auf und ist in beiden Fällen keine zuverlässige Größe. Wenn berichtet wird, dass bei Nahtoderlebnissen „die Dinge des Lebens" dicht gedrängt wie ein Film vor dem inneren Auge ablaufen, ist das immerhin ein Indiz dafür, dass die Erinnerung des Einzelnen nicht unwesentlich auf visuellen Eindrücken beruht. Und auch dafür, dass nur dauerhaft erinnert wird, was wahrgenommen und darüber hinaus als bedeutsam eingestuft wurde.

Es muss nicht gleich um die Dinge des Lebens gehen, um das Phänomen für die Kunst fruchtbar zu machen. Bei der Ausstellung von Harald M. Björnsgard und Eva Schmeckenbecher in der Galerie Kränzl werden weniger existenzielle Fragen aufgeworfen. Zumindest nicht bei der jungen Stuttgarter Künstlerin Schmeckenbecher, die ein hintersinniges Memory-System ersonnen hat, das aus Fotografien entstanden ist und dem bekannten Spiel in den Grundzügen nicht unähnlich ist. Wie dort gibt es Bildpaare, die aufeinander Bezug nehmen, das Format ist quadratisch, so dass weder der Horizontalen noch der Vertikalen zunächst ein Vorzug gewährt wird - eine sanfte Strategie der Desorientierung. Eva Schmeckenbecher, die 1977 in Tübingen geboren wurde und an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart Kunsterziehung und Intermediales Gestalten studierte, hat für ihr „Memory" die Landschaft am Untersee fotografiert und sie spielerisch hinterfragt. Kennt man von der digitalen Bildbearbeitung das Freistellen einzelner Bildpartien oder deren Veränderung, so geht Schmeckenbecher vom Effekt her ähnlich vor, setzt dabei aber herkömmliche Mittel ein. So schneidet sie etwa eine Bank an steinigem Ufer mit dem Cutter aus der obersten Schicht eines Papierabzugs aus, um sie dann auf einem weiterem „Memory-Kärtchen" vor vergleichsweise neutralem Hintergrund erneut zu präsentieren. Auf dem ursprünglichen Foto bleibt ein Negativ zurück. Fein ziselierte Strukturen können dabei entstehen (wie etwa beim nun gedoppelten Bild des schmiedeeisernen Gartentors des Otto-Dix-Hauses) oder auch skurrile „Bilderfindungen", wenn sich ein Zaun wie eine schräge Linie aus der Landschaft gelöst hat. Dass sich manche Objekte nur im Zusammenhang mit dem Partnerbild verlässlich einer Bedeutung zuordnen lassen, sagt viel über Wahrnehmung aus. Angenehm, dass Eva Schmeckenbecher hinter dem interessanten Konzept auch die Ästhetik nicht vergisst: das Spiel der Quadrate in Schwarzweiß schmeichelt dem Auge, während es auf Entdeckungsreise geht. Der Radolfzeller Bildhauer Harald M. Björnsgard nimmt den Ball auf, denn auch bei ihm geht es um die Auflösung der Gesamtform. Er schafft in seinen grafischen Arbeiten Abdrücke, die Erinnerungen provozieren und entwirft Skulpturen, in denen Teile für das Ganze stehen. Auch er hat die Stuttgarter Akademie durchlaufen, ist aber beim „schwereren" Medium der Bildhauerei angekommen. Bei Harald M. Björnsgard (Jahrgang 1958) steht die menschliche Figur im Mittelpunkt, auch wenn sie in den grob bearbeiteten Steinblöcken, entsprechenden Bronzegüssen oder Stahlarbeiten teilweise nur noch zu erkennen ist, wenn man um den Ansatz des Künstlers weiß. Das Material selbst darf ein Stück weit autonom blei­ben, seine Geschichte und seine Wunden offen darlegen - ein Hinweis darauf, dass Machbarkeit ihre Grenzen hat, der Mensch zwar Homo Faber ist, aber nur für die Zeitspanne eines Wimpernschlags. Zart und zerbrechlich wirken dann auch die Drucke, für die Björnsgard aufgerissene Stahlbleche einsetzt. Sein „Memory" entspricht eher einem Bekenntnis zum Memento mori, das ein Mensch ablegt, der sich der Natur fügt.